Wie das Kastensystem die Bildung und die Chancengleichheit der Kinder mitprägt

In diesem Beitrag erklärt der indische Projektleiter Madhan im Detail, wie sich das offiziell längst abgeschaffte und diskriminierende Kastensystem leider noch immer auf Chancengleichheit der Kinder ausprägt. Dieser Artikel ist eine Ergänzung zu unserem aktuellen Newsletter 2024. Falls Sie den Newsletter noch nicht erhalten, dürfen Sie uns gerne via Kontaktformular kontaktieren.

Bildungshindernisse durch das Kastensystem

Von Beginn ihrer Bildungslaufbahn an haben Kinder aus unteren Kasten mit Vorurteilen und mangelnden Ressourcen zu kämpfen. Öffentliche Schulen in benachteiligten Gebieten sind häufig unterfinanziert, verfügen über zu wenig qualifiziertes Personal und bieten kaum Bildungsmaterialien. Diese Umstände beeinträchtigen ihre Chancen auf eine qualitativ hochwertige Bildung. Zusätzlich verstärken soziale Vorurteile von Mitschüler*innen und Lehrkräften oft das Gefühl von Minderwertigkeit, was zu Schulabbrüchen führen kann.

Finanzielle Barrieren verschärfen die Situation weiter. Viele Familien aus unteren Kasten leben in generationenübergreifender Armut und können ihren Kindern weder Nachhilfe noch höhere Bildung finanzieren. Zwar gibt es Programme wie das „Mittagsmahl-Programm“ in Tamil Nadu, doch reichen diese Massnahmen oft nicht aus, um die Kluft zu schliessen.

Auch im Arbeitsleben setzt sich die Diskriminierung fort. Absolvent*innen aus unteren Kasten sehen sich trotz höherer Bildung häufig mit Vorurteilen konfrontiert, die ihre beruflichen Ambitionen bremsen.

Dhanalakshmi, eine Lehrerin bei der AVS, berichtet ihre Persönliche Erfahrung: Als Schülerin musste ich draussen sitzen, selbst bei Regen, weil mein Nachhilfelehrer mich als Angehörige einer unteren Kaste nicht ins Haus lassen wollte. Heute arbeite ich bei der AVS, wo ich mich endlich gleichwertig behandelt fühle. Es ist wie eine Familie.

Was unternimmt die AVS dagegen?

Die Arunachala Village School (AVS) begegnet den Herausforderungen des Kastensystems mit gezielten Massnahmen, um Bildungsgerechtigkeit zu fördern und Schüler*innen sowie Eltern für die Problematik zu sensibilisieren:

Bewusstsein schaffen: Die Schule arbeitet aktiv daran, das Bewusstsein für die negativen Auswirkungen des Kastensystems zu stärken. Gemeinsam mit den Schüler*innen werden die Ursachen und Folgen sozialer Hierarchien thematisiert, um ein offenes Miteinander zu fördern.

Eltern einbeziehen: Elternabende und Gespräche klären darüber auf, wie das Kastensystem nicht nur Einzelpersonen, sondern ganze Gemeinschaften benachteiligt. Eltern werden ermutigt, sich gegen Diskriminierung einzusetzen und ihre Umfeld darauf aufmerksam zu machen.

Diskriminierung bekämpfen: Diskriminierendes Verhalten wird an der Schule nicht geduldet. Wo es auftritt, wird es direkt angesprochen, und es werden notwendige Schritte zur Konfliktlösung und Prävention eingeleitet.

Diese Massnahmen sind herausfordernd, da das Kastensystem tief in der Gesellschaft verwurzelt ist. Dennoch zeigen sich erste Fortschritte: Schüler*innen lernen, sich gegenseitig mit mehr Respekt zu behandeln, und auch Eltern beginnen, bei Treffen über Kastengrenzen hinweg miteinander zu kommunizieren.

Durch Geduld, Engagement und Zusammenarbeit zeigt die AVS, dass Veränderungen möglich sind. Die kleinen, aber entscheidenden Fortschritte der Schule sind ein Zeichen dafür, dass Bildung ein Schlüssel zur Überwindung des Kastensystems sein kann.

Madhan Mohan, November 2024